… aushalten, ignorieren und weitermachen !

Nun begann die Zeit, die für mich die schlimmste in meiner Krebsphase sein würde. Die erste von insgesamt 16, mir noch bevorstehenden Chemotherapien stand an …

Auch wenn es komisch klingt, freute ich mich, dass es endlich soweit war …  dass ich endlich am eigenen Leib erfahren werde, was die Zytostatika mit meinem Körper anstellen werden. Endlich wird diese Angst diese ständige Grübelei über die Auswirkungen und das Warten auf diesen ersten Tag ein Ende haben.

Zytostatika auch „Zellstopper genannt“, sind die Wirkstoffe die bei einer Chemo verabreicht werden um die Vermehrung der Tumorzellen zu hemmen. In erster Linie handelt es sich um Substanzen, die eine normale Zellteilung verhindern. Ihre Wirksamkeit an den Zellen ist umso höher, je schneller sich diese vermehren. Da Krebszellen in der Regel eine hohe Vermehrungsrate haben, sich also schnell teilen, sind sie gegenüber der Chemotherapie empfindlich. Allerdings werden auch gesunde Zellen durch die Zytostatika an der Zellteilung gehindert. Körpergewebe mit hoher Teilungsrate, wie die Schleimhaut des Magen-Darm-Traktes oder die Haarwurzelzellen, werden daher oft vorübergehend in Mitleidenschaft gezogen. Es kommt zu den typischen Chemotherapie Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Haarausfall.

Es gibt verschiedene Gruppen von Zytostatika, die in unterschiedlichen Phasen des Zellzyklus eingreifen. Bei meinem Brustkrebs wird es Epirubicin + Cyclophosphamid, kurz EC genannt, gefolgt von Paclitaxel sein.

Benny hatte sich an diesem für mich so wichtigen Tag extra frei genommen um mich zu meiner ersten Therapie begleiten zu können.

Pünktlich um acht Uhr betraten wir die Praxis von Dr. K. …

Nachdem ich mich bei den Damen angemeldet hatte, wurde ich in die obere Etage zu den Therapieräumen geschickt. Den Weg dorthin kannte ich ja bereits, weil man mich nach meinem letzten ersten Heulkrampf in der Praxis netterweise schon einmal mit den Räumlichkeiten vertraut gemacht hatte.

Dort angekommen, betraten wir den Therapieraum … In diesem hatten sich bereits drei weitere Damen mittleren Alters eingefunden und es sich auf den besten Plätzen gemütlich gemacht. Es gibt dort zwei Super bequeme Stühle, an denen die Fußstütze und das Rückenteil individuell höhenverstellbar sind … Eine Kopfstütze mit einem weichen Kissen und gepolsterten Armlehnen … Es muss traumhaft sein auf diesen Luxusplätzen … diese waren allerdings ja aber leider schon besetzt. Dann gibt es da noch einen roten mit Leder bezogenen Wippstuhl, mit dazu passendem Hocker, welchen man aus diesem großen bekannten schwedischen Möbelhaus kennt … allerdings war auch dieser Platz schon vergeben. Zwischen Luxusstuhl und dem Schwedischen Sessel stand ein weißer Drehstuhl dessen Sitzfläche aus einer Art Halbkugel bestand …

Das war dann wohl mein Platz … Nachdem Benny die Frauen höflicherweise fragte ob es sie störte, wenn er noch ein bisschen bliebe und alle dies verneinten, nahm er sich einen Stuhl und setzte sich zu mir.

Wir wurden gleich freundlich begrüßt und herzlich aufgenommen, sowohl von der dort zuständigen Arzthelferin als wie auch von meinen Leidensgenossinnen. Die positive Stimmung die dort herrschte und mein Mann an meiner Seite stimmten mich ein klein wenig mutiger. Denn irgendwie hatte ich schon Angst und konnte gar nicht glauben, dass ich jetzt eine offizielle Chemopatientin bin. Sogar mit eigenem Therapie-Pass; dieser enthält meinen Namen, Geburtsdatum, Diagnose, Art und Beginn der Therapie. Nach jedem zukünftigen Blut abnehmen wird der Verlauf meiner Blutwerte dort eingetragen. Hämoglobin, Thrombozyten und Leukozyten müssen stets kontrolliert werden.

Der rote Blutfarbstoff Hämoglobin genannt, sorgt für den Transport von Sauerstoff durch unseren Körper. Nach einer Chemo kann die Konzentration des roten Blutfarbstoffes abfallen. Dann fühlt man sich müde und schlapp.

Die Blutplättchen, Thrombozyten, sorgen für die Blutgerinnung. Durch die Chemo können die Blutplättchen abfallen. Dann besteht eine vermehrte Blutungsneigung wie Nasenbluten und blaue Flecken usw.

Die weißen Blutzellen, Leukozyten sind für die Infektabwehr zuständig. Während der Chemo gibt es häufig einen Abfall der weißen Blutzellen, dann kommt es zu einer erhöhten Infektanfälligkeit.

Nach einer Weile brachte eine Angestellte der Apotheke die die Zytostatika anmischt, diese sicher verpackt in einer grauen Kiste welche mit einem Schloss versehen, und somit nur mit einem Schlüssel zu öffnen war. Die Beutel wurden auf dem Tresen ausgebreitet und jeder der zu Therapierenden Frauen zugeordnet.

Um später die leeren Zytostatikabeutel fachgerecht entsorgen zu können wurde an einem Schrank eine spezielle Tüte aufgehängt, mit der Aufschrift „Chemoprotect“ und einem großen Warndreieck drauf.

„ Dramatisch ! “ dachte ich da nur … mit welch höchster Sicherheit mit diesen Medikamenten und Materialien umgegangen werden muss. Da wurde mir erst richtig bewusst, wie giftig mein HEILMITTEL doch eigentlich ist … Aber einfach aushalten, ignorieren und weitermachen lautete mein Tagesmotto …

Nach und nach bekam jeder seinen Tropf aufgebaut und wurde mit diesem verstöpselt. Das Anstechen des Ports und die Gabe der Medikamente übernahm dann allerdings ein Arzt ganz Fachmännisch.

Dann war ich an der Reihe … Die Narbe meines Ports schmerzte noch immer sehr und alles war noch grün und blau. Die Fäden waren noch nicht gezogen und weil es eigentlich anscheinend ganz leicht ist diese zu ziehen, versuchte Dr. V. dies nun bei meinem Faden. Dieser wollte allerdings nicht ganz so wie er wohl wollte und nachdem er mein schmerzverzerrtes Gesicht sah, sagte der Doktor:“ Das gucken wir uns später nochmal an!“

Das anstechen des Ports mit der Portnadel war nicht wirklich schlimm. Zwar habe ich gelesen das es spezielle Pflaster gibt, welche man sich kurz vor der Chemo auf den Port kleben kann da diese ein Mittel enthalten welches die Haut leicht betäubt und somit kein Schmerz zu spüren ist. aber ich denke, ich werde diese schon mal nicht brauchen … Denn wie heißt es so schön? Nur die Harten kommen in den Garten …

Als erstes bekam ich eine Infusion mit Kochsalz, ganz harmlos …

Dann bekam ich die Zytostatika, meine EC Infusion … Der Beutel war mit einer roten Flüssigkeit gefüllt.

„So nun bekommen sie Ihren Campari Frau Troff !“ sagte Dr. V grinsend … „Und erschrecken sie sich nicht, wenn sie zur Toilette gehen, der Campari färbt den Urin rot !“

Dann saß ich da auf meinem Drehstuhl und beobachtete wie die Tropfen meiner Infusion langsam aber stetig den Schlauch füllten und sich der Campari meinem Port näherte … Das war ein wirklich beklemmendes Gefühl, das „Gift“ kam immer näher immer schneller … Am liebsten möchte man laut schreien :“ Neeeeeeiiiinnnn ! “, sich den Schlauch rausreißen und einfach nur weg rennen. Und einen Moment später ist es schon zu spät, die rote Flüssigkeit hat ihren Weg gefunden und breitet sich bereits in meinem Körper aus … Nun komme ich wieder zu verstand und mir fällt ein:“ Die Chemo ist mein Freund und nicht mein Feind !“ Jetzt ist es gerade mal wieder Zeit für einen „Mutausbruch“ ! Gar nicht so viel darüber nachdenken, einfach geschehen lassen. Benny war in der Zwischenzeit schon wieder los ein paar Erledigungen machen. Somit versuchte ich nun zur Ablenkung ein wenig in meinem Buch zu lesen „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ … Äußerst verwirrendes Buch fand ich in dem Moment, der ganze Text war irgendwie seltsam. So legte ich dieses schnell wieder beiseite und aß stattdessen mein Brot, das brauchte lange nicht so viel Kopfarbeit …

Irgendwann kam ich mit meinen zwei Stuhlnachbarn ins Gespräch … Sie waren schon Chemoerfahren und ich als Frischling stellte Ihnen einige Fragen bezüglich der Nebenwirkungen und holte mir auch einige Tipps. Aber auch sie erzählten gerne und tauschten untereinander Erfahrungen aus. Natürlich gab es auch Sachen die ich lieber nicht gehört hätte, sowie zum Beispiel das schon zwei Wochen nach der ersten Chemo die Haare bereits anfangen auszufallen, man teilweise Ekel vor einigen Lebensmitteln bekommt und immer dieser „Chemogeschmack im Mund, klagten die Beiden. Aber es muss ja nicht alles auch auf mich zutreffen. Ich habe mich ja schon verrückt genug gemacht mit all meinen Gedanken. „Dabei sollte ich vielleicht besser nicht alles glauben was ich so denke!“ … Ich lasse es einfach auf mich zukommen.

Schon während der Chemo bekam ich eine Tablette aus einer dreier Packung. „Die beiden anderen sind für die nächsten beiden Tage, jeden Morgen eine einnehmen!“ : sagte mir die Arzthelferin. Ein Rezept für Tropfen gegen die Übelkeit gab es auch noch dazu und im Anschluss dann noch ein Päckchen Tabletten für die folgenden zwei Tage. In den Tropf wurden auch noch direkt Mittel gegen die Übelkeit und etwas zum Schutz für die Blase gespritzt.

Irgendwann kehrte Ruhe ein … so langsam zeigte die Chemo bei allen Ihre Wirkung und so machten die meisten ein wenig die Augen zu um zu entspannen. Auch diejenige welche auf dem roten Stuhl saß, döste nun ein. Das Klappern ihrer Stricknadeln verstummte, welche sie sich mit einer Docke Wolle zum Zeitvertreib mitgenommen hatte. Und so saß ich da, ganz ruhig und starrte aus dem Fenster … ab und zu warf ich einen Blick auf die Dösenden Damen und schaute zu wie die Beutel mit den Zytostatika sich Tropfen für Tropfen leerten…

„Sind sie noch alle da? Es ist ja so ruhig bei Ihnen.“ Hörte man irgendwann die Arzthelferin aus dem Flur rufen. Schlagartig waren alle wieder wach und lachten …

So langsam bekam ich ein Gefühl von etwas unwohl sein … das macht aber vielleicht auch nur der Kopf. Dr. K. sagte mir, dass ich während der Chemo gar nicht so viel darüber nachdenken solle was mir da eingeflößt wird, einfach denken es sei Saft.

Sobald jemand bemerkte, dass sein Tropf sich dem Ende neigt wurde die junge Frau, mit den Worten: „ Ich bin durch ! “ , aus dem Flur gerufen. Diese wechselte dann die Infusion und dann ging es weiter. Aufmerksam wie sie waren, achteten sie netterweise auch mit auf meinen Tropf und wiesen mich auf den letzten „Schluck“ hin. Nachdem mir der Schlauch von der Portnadel entfernt wurde machte ich mich erst mal auf den Weg zur Toilette … Und ja es stimmt, der Urin war sowas von rot. Danke für die Vorwarnung!

Wieder zurück an meinem Platz, wurde der kurze Schlauch an meiner Portnadel mit Kochsalz in einer Spritze durchgespült, bevor der letzte Infusionsbeutel mit eben dieser Flüssigkeit angelegt wurde. Die Zeit verging wirklich wie im Flug, um halb zwölf hatte ich bereits meine erste Chemo hinter mir … Dank netter Leute um mich herum und mit Tee und Keksen war es sogar ein netter Vormittag. Kurz bevor ich fertig wurde, traf Benny wieder in der Praxis ein und begleitete mich nach unten nachdem wir uns von den anderen Chemopatientinnen verabschiedet und uns alles Gute gewünscht hatten …

Beim Treppen hinunter gehen merkte ich die Chemo … mir war leicht schwindelig, etwas flau im Magen und ich fühlte mich leicht benommen. Nun musste ich mich noch ins Wartezimmer setzen und warten bis ich von Dr. K. den Faden gezogen bekommen würde. Zum Glück wurde ich recht schnell aufgerufen und der Doktor konnte seiner Arbeit an mir schnell nachgehen.

Nachdem alles erledigt war liefen wir zu Renate ins Stoffgeschäft in dem sie an diesem Tag arbeiten musste … Viele denken jetzt vielleicht: “ Wie? Die läuft nach der Chemo noch munter durch die Gegend? Sollte man sich da nicht besser hinlegen?“ Da sage ich ganz klar: “Nö!“ Ich habe mir von Anfang an fest vorgenommen, soweit es geht immer aktiv zu bleiben. Ich wollte nicht das sich mein Körper an das nur Rum liegen gewöhnt, er soll kämpfen und fit bleiben so lange es denn geht. Ich habe eine Dame kennengelernt die erzählte mir das sie immer, wenn sie nach der Chemo nach Hause kommt, einen Kaffee trinkt und etwas isst und sich dann erst mal drei vier Stunden ins Bett legt und schläft. Natürlich kann das jeder so machen wie es ihm dabei am besten geht … Ich probiere es erstmal so nach meinem Plan A … Und wenn der nicht klappt tritt halt Plan B ein … Doch aufs Sofa.

Peter kam zu diesem Zeitpunkt auch zufällig grad bei Renate an und so freuten wir uns alle uns zu sehen. Jeder war gespannt mich zu sehen und zu erfahren wie es war und wie es mir denn geht … Bis dahin konnte ich nur Gutes berichten außer halt diese kleinen Problemchen.

Da Peter und ich beide gerne Essen und mein Appetit auch noch wohl auf war, beschlossen wir in Begleitung von Benny in die Stadt zu laufen und einen Cheeseburger zu essen … Aus einem wurden dann doch zwei.

Nachdem wir dann wieder bei Renate waren verabschiedeten wir uns voneinander und fuhren nach Hause. Die ersten paar Stunden nach der Chemo war noch alles gut … bis zum späten Nachmittag, da war nichts mehr gut. Mich überkam eine dermaßen schlimme Übelkeit … Nun lief es doch eher nach Plan B. Ich lag zusammen gekauert auf dem Sofa so ließ es sich am besten aushalten. Lang ausgestreckt, sitzend oder stehend ging gar nicht. Beim Aufstehen für den Gang zur Toilette wurde mir so Speiübel das ich zum Wasser lassen mit meinem Brecheimer unterm Arm auf der Toilette saß und heilfroh war als ich wieder zum Liegen kam. Nicht mal Sprechen mochte ich, weil ich schon dabei das Gefühl hatte mir kommt alles hoch. „Ich will mich nicht Kraftlos nennen, aber ich bin gerade in meine Sofaritze gerollt und komme da nicht mehr raus!“ Dieser Spruch passte in diesem Moment absolut zu mir. Benny tat alles um mir irgendwie Unterstützend zur Seite zu stehen, aber da war er machtlos. Auch wenn mir noch so schlecht war und ich dachte ich müsste von der Welt ab … aber die Cheeseburger sind drinnen geblieben. Ehrlich gesagt hatte ich schon Angst davor, dass dies jetzt erstmal ein Dauerzustand sein würde und auch fragte ich mich ob das nun nach jeder Chemo so sein wird. Bei diesen Gedanken hatte ich ein bisschen Sorge das mich mein großer Mut verlässt. Aber Mut ist nicht immer nur groß und stark … Manchmal wird er ganz klein und sagt ganz leise. „Morgen komme ich wieder!“

 

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